Beschäftigungszahlen nicht gesunken - alles ok?

10.02.2024

Beschäftigungszahlen nicht gesunken - alles ok?

Mehrere Portale berichteten im letzten Monat über eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt – und Berufsforschung (IAB), in der die Zahl der Beschäftigten in der Pflege insbesondere im Bezug auf die Corona-Pandemie untersucht wurde.

Zusammengefasst wird der Inhalt dabei so: Die befürchtete Kündigungs- oder Abwanderungswelle aus der Pflege durch Corona ist ausgeblieben, die Beschäftigungszahlen sind stabil geblieben beziehungsweise sogar gestiegen.

Wir hinterfragen, wie sinnvoll diese Zahlen als Maß für Erfolge sind.

Die Zahlen

Neben der Anzahl der Pflegefach- und Pflegehilfskräfte, die seit 2016 kontinuierlich gestiegen sind, wurde insbesondere die „Beschäftigungsstabilität“ beleuchtet: wie viele Beschäftigte waren nach einem Jahr (und dann nach zwei Jahren) noch beim selben Betrieb angestellt?

Insbesondere gibt es dabei Unterschiede in verschiedenen Einrichtungen: Krankenhäuser behalten über ein Jahr 90 % ihrer Fachkräfte (80 % über zwei Jahre), aber in der ambulanten Pflege und in Pflegeheimen ist die Fluktuation größer. Nach einem Jahr wechseln 1,5 mal so viele zu einem anderen Betrieb (15 %), nach zwei Jahren sind fast 25 % gewechselt.

Besonders betont wird dabei, dass die Zeit der Pandemie keine große Abwanderung aus der Pflege bedeutet hat – eine interessante Feststellung durch eine Studie, die die Jahre bis einschließlich 2021 beleuchtet.

Die Jahreszahlen

Die Studie betrachtet die Zeit von 2016 bis 2021 – demgegenüber lohnt sich ein Blick auf die „Chronik aller Entwicklungen im Kampf gegen COVID-19“ des Bundesministeriums für Gesundheit, die ihren letzten Eintrag am 14. Februar 2023 enthält: das Entfallen von Test- und Maskenpflicht zum 1. März, während der letzte Eintrag mit explizitem Bezug auf die Pflege vom 13. Januar 2023 ist.

So viel also zur Überdeckungszeit zwischen den von der Studie betrachteten Jahren und den tatsächlichen Jahren der Corona-Pandemie.

Welche Effekte erwarten wir?

Die erleichterten Artikel in der FAZ, Zeit, vom deutschlandfunk und bibliomedPflege erklären: die befürchtete Kündigungswelle ist ausgeblieben. Denn während der Corona-Welle hatten diverse Stimmen davor gewarnt, dass die Überbelastung zu vielen Kündigungen führen würde. Hurra – das ist doch nicht passiert.

Das leise mitschwindende Fazit: so schlimm war’s also doch nicht.

Dazu gibt es mehrere Überlegungen, die wir hier anbringen wollen – ganz abgesehen von der Perspektive auf die Corona-Pandemie, die ein ganzes Jahr schluckt.

Eine erste ist: wie viele Leute kündigen während einer Krise? Für gewöhnlich, und in der Pflege besonders, reißen sich die meisten Menschen während einer Krisenphase zusammen und versuchen, sie gemeinsam zu überwinden. Der eigentliche Erschöpfungseffekt wird erst nach dem Hauptstress deutlich.

Eine zweite bezieht sich auf zwei Aspekte aus der Studie: erstens ist der Anstieg der Zahl der Pflegekräfte auch von den Studienmacher*innen explizit durch die Zuwanderung von Fachkräften erklärt. Hier geht es um Leute, die das Anwachsen der Krise nicht im deutschen Pflegesystem miterlebt haben. Ein anderer Aspekt der Studie ist die Eingrenzung des Alters der berücksichtigten Fach- und Hilfskräfte: Nur wer zwischen 20 und 60 Jahre alt war, wurde berücksichtigt. Damit fallen zwei durchaus relevante Gruppen – Berufsanfänger*innen und diejenigen in den letzten Jahren vorm Ruhestand – aus der Betrachtung. Dabei sind gerade diese Gruppen vielleicht weniger ausgerüstet, mit einer außergewöhnlichen Belastung umzugehen.

Die dritte Überlegung erweitert die erste: Seit der Coronapandemie haben erhebliche Ansteige im Mindestlohn (und damit Durchschnittslohn) in der Pflege einen zusätzlichen Anreiz gesetzt, nicht Hals über Kopf zu fliehen, sondern erst mal aus der ruhigen Position einer gut bezahlten Anstellung abzuwarten. Wer ganz viel Kalkulation unterstellen will: wenn ein*e Angestellte wegen Burnout oder anderen stressbedingten Krankheiten ausfällt, ist die Versicherungs- und Versorgungslage im Zweifel besser als für jemanden, der ohne Job auf der Suche nach einer alternativen Beschäftigung ist.

Kurzfristiges Denken für langfristige Probleme

Insgesamt strotzen die Kommentare zur Studie, so wenig sie von einer kopierten Pressemitteilung abweichen, vor Kurzsichtigkeit.

Wie sieht die gleiche Entwicklung langfristig aus, unter Berücksichtigung aller Beschäftigten in der Pflege, ohne Ausgleichsanwerben aus neuen „Pools“?