Intensivpflege in der Schildbürgerfalle

06.10.2023

Intensivpflege in der Schildbürgerfalle

Die Intensivpflege, gerade die im eigenen Zuhause der Menschen, die auf sie angewiesen sind, ist immer wieder ein Thema für die Politik, weil sie gerade hier die vermeintlich vielen „schwarzen Schafe“ wittert, die die Pflege so teuer machen.

Die vielen neuen Regelungen machen den Arbeitsalltag natürlich vor allem für regulär arbeitende Pflegedienste schwieriger.

Von nur „schwierig“ kann aber beim neusten Hürdenlauf keine Rede sein. Weil Ideen Plänen vorgezogen werden, stehen wir mal wieder vor einer paradoxen Hürde.

Neue Rahmenempfehlung für die Intensivpflege

Sei dem 1. Juli 2023 gelten neue Regeln für die ambulante Intensivpflege, zum Beispiel bei beatmeten Patienten zuhause. Genauer gelten die „Rahmenempfehlungen nach § 123l Abs.1 SGB V zur Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege“.

Die Folge der Verordnung ist praktisch, dass jeder Intensivpflegedienst eine Zulassung nach § 123I SGB benötigt – in jedem Bundesland, in dem er aktiv ist.

Denn die Länder sollen bis zum 30.6.24 jeweils eine Länderverordnung erlassen, die den Paragraphen umsetzt.

Eine Unmöglichkeit

Wer sich mit Verordnungen rund um die Pflege auskennt, konnte schon erraten: in die Lücke fallen Bedürfnisse von Patient*innen und Pflegediensten.

Denn wir müssen seit dem 1. Juli 23 für die Übernahme neuer Versorgungen die Zulassung nach §123I nachweisen, die die Länder erst bis zum 30.6.24 erlassen müssen.

Ohne Zulassung keine Versorgung – und keine Zulassung bis nächstes Jahr. Patient*innen, mit deren Krankenkassen wir bisher nicht gearbeitet haben – angesichts von über 100 gesetzlichen Krankenversicherungen bei kleineren Anbietern nicht unwahrscheinlich – können wir also nicht aufnehmen.

In der Pflegelandschaft allgemein wäre das schon problematisch. In der ambulanten Intensivpflege, in der Patient*innen und ihre Familien auf freie Plätze, also freie Teams, angewiesen sind, kann das verheerend sein. Denn jetzt muss der Pflegedienst nicht nur örtlich passen, sondern auch zur Krankenkasse.

Zweitschauplatz Vergütungsverhandlungen

Parallel zu dem folgenden Absurdum stehen wir übrigens schon ganz unabhängig vor anderen Herausforderungen, wenn es um neue Patient*innen geht.

Anders als bisher sollen wir als Pflegedienst seit dem 1.7.23 nur mit einer Krankenversicherung über die Vergütung verhandeln, die damit für alle entscheidet. Das könnte natürlich enorm Zeit sparen.

Wenn – ja wenn denn – auch die Krankenkassen darüber voll informiert wären. Jüngstens hat uns jemand angefragt, mit dessen Krankenversicherung der spezifische Pflegedienst bisher noch nicht gearbeitet hatte. Sicher kein Problem, da wir vermutlich mit der zuständigen Krankenkasse, die als Stellvertreter fungiert, schon mal zu tun hatten?

Leider kannte die Krankenkasse des Patienten selbst nicht die zuständige Kasse, mit der wir hätten verhandeln können.

Schildbürgerstreiche in der Intensivpflege

Die Geschichte der Schildbürger handelt von einer Stadt, die sich dumm stellen möchte, um nicht mehr so viele Fragen beantworten zu müssen. Die zur Schau gestellte, absurde Dummheit der Schildbürger ist gute Unterhaltung – wenn man ihr von außen zusehen kann.

Die „Original“-Schildbürger haben sich das Leben in ihrer eigenen Stadt schwer gemacht (und sich dabei hinter vorgehaltener Hand ins Fäustchen gelacht).

Die aktuellen (Neu-)Regelungen zur Intensivpflege bleiben aber nicht in der eigenen Stadt derer, die sie gemacht haben. Stattdessen sind intensivpflegebedürfte Menschen betroffen, die dringend Unterstützung und keine „So traurig, dass es zum Lachen ist“-Momente brauchen.