Japanische Pflegeroboter oder deutsche Pflegewüste?

11.08.2023

Japanische Pflegeroboter oder deutsche Pflegewüste?

Was wir über Roboter in der Pflege aus dem japanischen Horrorfilm „The Grudge“ lernen können

2006 erschien eine amerikanisch Neuverfilmung des japanischen Horrorfilms „The Grudge“. Die von Sarah Michelle Gellar gespielte Hauptfigur flieht darin in einer Szene vor dem bösen Geist des Films und versucht, sich im Bett zu verstecken. Einem unserer weniger rationalen Instinkte folgend möchte sie sich in ihre Bettdecke verkriechen – Kopf runter, denn da kommt das Monster schon nicht hin. Der Film gönnt seinem Publikum und der Hauptfigur diese Pause nicht – der böse Geist taucht natürlich auch aus der Bettdecke selbst auf. Die Hauptfigur entkommt in dieser Szene dem Monster und kann den Film über weitere Versuche unternehmen, dem Bösen und der Gewissheit dieses Bösen zu entkommen.

Was hat das nun bitte mit Pflege zu tun?

Karl Lauterbach, unser Gesundheitsminister, war kürzlich in Japan und hat sich dort auch mit dem Thema Pflege beschäftigt. Denn dort, in dem Land, in dem die Idee zu oben genannten Film entstand und der größte Teil der Bevölkerung alt ist, übernehmen die Pflege teilweise Pflegeroboter. Ein Szenario, das Herr Lauterbach als „noblen Versuch“ bezeichnet, die Pflege zu unterstützen. Er fährt fort, „Es gibt keine technische Lösung, es gibt keinen Roboter, der die Zuwendung, die Nächstenliebe, die Fürsorge eines Menschen ersetzen kann.“ Klingt, als wollte Herr Lauterbach nicht wirklich über Robter in der Pflege in Deutschland nachdenken.

Vielleicht müsste er aber.

Stecken wir den Kopf in den Sand bzw. unter die Bettdecke?

Der Bedarf an Pflegekräften ist in Japan so hoch, dass er nicht mehr gedeckt werden kann. So viele alte, pflegebedürftige Menschen stehen so wenig jungen, arbeitsfähigen Menschen gegenüber, dass die Versorgung eben nur durch andere Mittel funktionieren kann.

Japan setzt dabei nicht (nur) darauf, qualifizierte Fachkräfte aus anderen Ländern abzuwerben und das Problem der fehlenden Jugend weiterzureichen, sondern eben auch auf Roboter.

Was tut Deutschland? Aktuell: verzögern. Mehr junge Menschen in die Pflege holen, mehr Pflegekräfte aus dem Ausland dazu holen, das kann alles helfen, aber eigentlich nicht lösen. Wir haben letzten Monat erst davon berichtet, wie der Personalmangel pflegebedürftige Menschen in Krankenhäusern fesselt. Mehr müsste passieren. Und da wären Roboter eine Idee.

Andere kulturelle Voraussetzungen

In Japan gibt es einen ganz anderen kulturellen Umgang mit Robotern. Die sind dort schon so lange „normal“, dass Roboterhunde beispielsweise für viele Familien eine passende Alternative zu einem Haustier wurden. Die Hunde lernten einfache Tricks, mochten Aufmerksamkeit und es entstand eine Bindung. Als Reperaturteile für bestimmte Hunderoboterserien knapp wurden und einige der Haustierroboter kaputt gingen, behandelten die Familien das wie das Sterben eines Haustiers und sie baten auch ihre Priester um eine Bestattungszeremonie für die „Hunde“.

In Deutschland ist diese Perspektive noch absolut befremdlich und auch wenn der ein oder andere seinem Auto einen Spitznamen gibt und dem Saugroboter Wackelaugen aufklebt, ist die Beziehung zu unseren Alltagshelfern eben nur eine zu Maschinen und Aushilfsgeräten. Könnte man meinen.

Auch in Deutschland bauen Menschen Beziehungen zu Dinge und Robotern auf

Denn gleichzeitig gibt es beispielsweise ein immer wachsendes Angebot an Apps, gerade auch für junge Leute, die „künstliche Freunde“ anbieten. Hier meldet man sich an und „chattet“ mit einer KI. Die soll dann – wenn sie gut programmiert ist – lernen, was der User so mag und möchte. Und so mit der Zeit das gleiche Gefühl vermitteln, wie ein guter Freund oder eine Freundin. Auch Romantik oder sexuelle Erregung sollen die „Roboterfreunde“ erzeugen können. Das Feedback ist zwar (noch) nicht durchweg positiv, aber die Bereitschaft zum Test ist absolut da. Es GIBT bereits eine Menge Menschen in Deutschland, die versuchen, Freundschaft mit einer künstlichen Intelligenz zu simulieren, statt sich an anderen Menschen zu orientieren.

Die Bereitschaft von Menschen im Allgemeinen, Gefühle und Beziehungen auf „Dinge“ zu projizieren, ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Seit Jahrtausenden anthropomorphisieren wir Tiere in Fabeln und erzählen uns Geschichten vom „traurigsten Weihnachtsbaum“.

Wir müssen uns dem Monster stellen

Es gibt viele Geschichten über Monster und vor allem die Menschen, die ihnen begegnen. Es gibt auch ein sehr gutes, vielen verschiedenen Autoren (von G.K. Chesterton über C.S. Lewis bis zu Neil Gaiman) zugeschriebenes Zitat, das auf Deutsch in etwa lautet: „Wichtiger als aus Märchen zu lernen, dass es Monster gibt, ist zu lernen, dass wir sie besiegen können.“

Das Monster der drohenden (und schon begonnenen?) Pflegekatastrophe ist keins, das verschwindet, wenn wir nicht hinsehen. Es lässt sich nur mit den in Märchen so wichtigen Tugenden wie Mut, Klugheit und Güte stemmen – und vielleicht, wie in so vielen Sci-Fi-Geschichten, eben mit Robotern.

Roboter können in der Pflege helfen

Roboter müssen die Pflege nicht kalt oder unmenschlich machen – das tut ein Handschuh auch nicht. Klar reduziert so ein Handschuh den „menschlichen Kontakt“, aber er hat eben auch sehr viele Vorteile, auf die wir sicher nicht verzichten wollen.

Wenn ein Roboter – oder eben eine Computerschnittstelle mit Spracherkennung, der wir Wackelaugen aufkleben – eine demenzkranke Patientin da abholen könnte, wo sie gerade ist und zurück in ihr Zimmer bringen kann, dann ist das wesentlich besser, als wenn die Patientin alleine auf dem falschen Flur steht.

Es hat keinen Einfluss darauf, wie gut es ist, wenn der Mensch, der zum Verbandswechsel kommt, auch fragt, wie es ihr heute so geht. Und wenn ein Roboter den Verband wechseln würde, wäre es immer noch viel wert, wenn ein Mensch am gleichen Tag fragen würde, wie es ihr heute geht.

Zur Illustration: designed by Freepik