16.06.2023

Kommunikation Familienzentrierte Pflege - Fachbericht

Kommunikation, Anleiten & Beratung

Familienzentrierte Planung mit dem Ziel gemeinsamer Interventionen

Die Betreuung intensivpflichtiger Kinder durch einen Kinderintensivpflegedienst im häuslichen Umfeld stellt nicht nur in den behandlungspflegerischen Aufgaben eine besondere Herausforderung dar. Sie liegt auch in der Kommunikation mit den Eltern, die sowohl in der Beratung als auch in der Anleitung einen besonderen Stellenwert hat. Eltern bemängeln, dass jede Pflegefachkraft vor Ort unterschiedliche Interventionen vorschlägt. (vgl Hall, S. et al. Intensiv. Vol.14. (2006). Beratung und Anleitung von Eltern intensivpflichtiger Kinder in der häuslichen Kinderkrankenpflege. Booksc.eu.)

Aus Sicht der Eltern

Familien und Angehörige erleben die Versorgungssituation als sehr unterschiedlich. Einerseits ist man froh über die häusliche Versorgung und das der*die Erkrankte zu Hause versorgt wird, andererseits wird ein großer Einschnitt in die eigene Privatsphäre erlebt. Einerseits werden Pflegende und Pflegedienste als kompetent, sensibel, auf die Bedürfnisse der Familie eingehend, sowie sich abgrenzend und unsichtbar machend erlebt, andererseits werden Pflegende und Pflegedienste als grenzüberschreitend und mit bewertender Haltung beschrieben. Sämtliche Akteure im Versorgungskontext der außerklinischen Intensivpflege sind gefordert, den Unterstützungsbedarf und das Abgrenzungsbedürfnis der Familien so auszuloten, dass ihre Autonomiebestrebungen und ihre Würde gewahrt bleiben. (vgl. Limberger, R. et al. (2017).

Familienorientierte Pflege und die besonderen Lebenswelten von Kindern

Die familienorientierte Pflege erfreut sich in der Kinderintensivpflege großer Beliebtheit und wird auch in unserem Unternehmen geschult und gelebt. Die Prinzipien einer familienorientierten Pflegepraxis lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.) Fokussiere die Interventionen auf die Familie und nicht auf das Kind. 2.) Arbeite mit der Familie, um Möglichkeiten für alle Familienmitglieder zu schaffen, damit sie Kompetenzen erlangen und gebrauchen, die die Familie stärken. 3.) Respektiere das Recht der Familie, zu entscheiden was wichtig ist. 4.) Erkenne die positiven Aspekte der Familie an. (Köhlen, C. (2012). Prinzipien der Familienorientierten Pflege. Kinderkrankenschwester.)

Aus den oben angeführten Erläuterungen stellt sich für mich die Frage: Wie lässt sich eine geeignete Basis ins Unternehmen integrieren, so dass daraus eine einheitliche Intervention für alle an der Pflege beteiligten Personen ersichtlich ist und eine inhaltlich einheitliche Kommunikation, Beratung und Anleitung der Eltern möglich wird.

Erläuterung, familienorientierte Pflege mit eigenen Worten

In der familienorientierten Pflege sehe ich Begleitung und Fokussierung der gesamten Familie. Die Erstellung eines Pflegeplans wird gemeinsam mit der Familie positiv gestaltet, damit am Ende nicht nur die Erkrankung, sondern die Familie als Ganzes gestärkt wird bzw. auf dem Weg dahin unterstützt wird. Die bereits in der Familie vorhandenen Fähigkeiten und auch die Wünsche der Familie werden ebenfalls bei der

Pflegeplanung berücksichtigt. Dieser Gedanke befindet sich von Beginn an in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, wird also den aktuellen Gegebenheiten immer wieder neu angepasst, um das Ziel der Familien-Stärkung immer wieder zu optimieren.

Der Weg zur Implikation in die Praxis

Das Phasenmodell

Auch wenn das unten angestellte Phasenmodell vordergründig zur Implementierung der Expertenstandards des DNQP erstellt worden ist, soll es den Weg visualisieren, der eine effektive Umsetzung eines jeden neuen Projekts in die Pflege ermöglicht. Dieses Phasenmodell habe ich bereits mehrfach angewandt und nachhaltige Erfolge erzielt.

Die Vorbereitungsphase

In die Vorbereitungsphase gehört die strukturierte Ausarbeitung der bereits ermittelten Erkenntnisse. Die Ermittlung von personellen Ressourcen gehört ebenfalls dazu

Phase I

Die Phase 1 ermittelt den Fortbildungsbedarf und die Durchführung einer entsprechenden Fortbildung.

Fortbildungen

Der Beginn einer jeden Fortbildung bildet immer die Artikulierung des Ziels der Fortbildung: „Am Ende der Fortbildung werdet ihr das Familiensystem verstehen und wissen Familien so zu begleiten, dass sie mit ihrer Familiensituation klarkommen. Ihr werdet wissen, wie ihr die Familien zu einem neuen Gleichgewicht führen könnt. (vgl. Hall, S. et al. Intensiv. Vol. 14. (2006). Beratung und Anleitung von Eltern intensivpflichtiger Kinder in der häuslichen Kinderkrankenpflege. Booksc.eu.)

Die Teilnehmer werden erfahren, dass Krankheit immer auch eine Familienangelegenheit ist. Die Familie soll als System, mit ihren Schwächen, aber auch Stärken und Ressourcen verstanden und in die Pflege mit einbezogen werden. Die Teilnehmer der Fortbildung werden erkennen, dass sie die Aufgabe haben

der Familie mit Begleitung, Information und Beratung zur Seite zu stehen und so der Familie die Suche nach eigenen Lösungen erleichtert. Die Familie ist der Experte für die eigene Situation. Das soll erkannt werden.

Weiter werden die typischen Schritte im Prozess einer systemischen Beratung herausgestellt. Bei der systemischen Beratung geht es darum die Wünsche und Kompetenzen der Eltern herauszufinden, zu reflektieren und in die Pflege mit einzubeziehen. So erhält die Pflegekraft einen klaren Auftrag um ihre Aufgabe beim Kind und bei der Familie zu erfüllen.

Frau Köhlen stellt in ihrem Artikel die Frage wie Eltern befähigt werden, selbst etwas zu tun. Dazu gibt sie Tipps, die aus der systemischen Beratung abgeleitet sind. Sie empfiehlt eine positive Einstellung den Eltern gegenüber, ohne dabei voreilige Schlüsse zu fassen. Es gilt auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen und keine eigenen Beschlüsse zu verfassen. Die Familie soll motiviert werden, um unentdeckte Ressourcen zu mobilisieren. Eltern sollen ermutigt werden Unterstützung von außen zu nutzen, sei es aus dem Familienkreis oder der Gemeinde. Die Atmosphäre soll so geschaffen sein, dass Verantwortung gemeinsam getragen werden kann, um eine Überforderung der Familie zu vermeiden. (vgl. Köhlen, C. (2012). Prinzipien der Familienorientierten Pflege. Kinderkrankenschwester.)

Die drei Formen des Zuhörens

Zunächst achtsam zuzuhören heißt, dass bewusst und wertfrei gehört wird was die Eltern sagen. Wichtig ist es die Eltern ausreden zu lassen und ihnen nicht das Wort abzuschneiden. Eine den Eltern zugewandte Körpersprache unterstützt und öffnet den Weg einer Kommunikation auf Augenhöhe. Sie kann durch interessiertes Nachfragen aktiv gehalten werden. Auch hier sollte das Gespräch wertfrei in Gang gehalten werden. (vgl. Limberger, R. (2011). Handout. Therapeutische Gesprächsführung in der Pflege. ISPM) Eltern haben die Leidensgeschichte ihres Kindes und somit ihre eigene Leidensgeschichte meist schon oft erzählt und neigen deshalb dazu die Probleme in den Vordergrund ihrer Geschichte zu stellen. Durch aktives Infragestellen der Geschichte kann es gelingen, dass die Eltern zu neuen Sichtweisen angeregt werden. Trotz kritischer Fragen soll aber der gute Kontakt nicht verloren gehen. Das kann gelingen, indem verbal kritisch hinterfragt wird, nonverbal sich aber zugewandt und offen gezeigt wird. (vgl. Klein, R. et al (2007). Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Carl-Auer.)

Genogramm und Funktionsprofil

Ein Genogramm dient der graphischen Darstellung der Familie und deren Beziehungen. So kann ein schneller Überblick gewonnen werden, wer zur Familie gehört und wie die Beziehungen zueinander sind. So können bereits bei der Erstellung des Genogramms Ressourcen oder Probleme innerhalb der Familie sichtbar werden, die in die weitere Planung aufgenommen werden können.

Informationen aus dem Genogramm können in das ICF-CY basierte Funktionsmodell übertragen werden. Mit Hilfe des Funktionsmodells wird es gelingen die Ist-Situation und den Gesundheitszustand zusammenzutragen. Das Funktionsprofil nutzt dazu die Komponenten: Teilhabe, Aktivitäten, Körperfunktionen und -strukturen deren Stärken und Be- bzw. Einschränkungen benannt werden. Im Kontext dazu stehen die personenbezogenen Faktoren und Umweltfaktoren. Die Umweltfaktoren umfassen die materielle, soziale und verhaltensbezogene Umwelt. (vgl. Kraus de Camargo, O. et al. (Hrsg.). (2020). S. 69. Die ICF_CY in der Praxis. Hogrefe.) In diesen Kontextfaktoren finden sich die gemeinsamen Interventionen, an denen die Mitwirkenden und das gesamte interdisziplinäre Team mit ihrer Pflegeplanung und ihrer Therapie ansetzen können. Das Funktionsprofil stellt dar, welche Faktoren es zu fördern gilt und welche Barrieren überwunden werden müssen. Das Funktionsprofil ist die Basis gemeinsamer Interventionen, die es mit den Eltern zu besprechen gilt. Wie zu erkennen enthalten Funktionsprofile deutlich mehr Informationen als die Diagnosen aus dem Arztbrief. Eine ganzheitliche, familienzentrierte Planung mit gemeinsamen Zielen wird deutlich einfacher.

Phase II bis IV

In der Phase II wird die Implementierung ins Team einer Versorgung intensiv begleitet um für Fragen und Diskussionen direkt und vor Ort zur Verfügung zu stehen. Ein enger Kontakt zu den Eltern wird dabei gefördert. Die Mitwirkenden werden im praktischen Einsatz sensibilisiert, sich auf die Familie als Gesamtes zu fokussieren und mit der Familie zusammenzuarbeiten, damit die Familienmitglieder Kompetenzen erlangen und gebrauchen, die die Familie stärken.

Bereits erkannte Defizite und Lösungsansätze werden notiert und stehen für eine anschließende Evaluation zu Verfügung.

In Phase III wird der Prozess selbständig von den Mitwirkenden im Team fortgeführt.

Der Prozess in Phase IV wird lediglich aus der „Vogelperspektive“ begleitet. Unterstützung wird auf Anfrage gegeben. Nach 4 weiteren Wochen findet eine Überprüfung der Implementierung statt. In der Regel schließt die Phase IV mit einem Pflege-Audit ab. Im optimalen Fall gibt es eine Zusammenkunft mit dem gesamten interdisziplinären Team, um Ergebnisse und schon erreichte Ziele aber auch Evaluierungen vornehmen zu können. Das Ziel ist eine Optimierung der familienorientierten Pflege. Wo der Evaluierungsprozess anschließend ansetzt ist von der Situation abhängig. Es kann sein, dass wieder auf der Stufe der Vorbereitung das gesamte Phasenmodell wiederholt angewandt werden muss.

Zusammenfassung

Die Kommunikation, das Beraten und Anleiten der Mitwirkenden und in Folge auch der Familie geschieht mittels der 4 Phasen des Phasenmodells. Durch die gezielte Anleitung und aktive Begleitung als Ansprechpartner und Anleiter erhalten die Mitwirkenden die Möglichkeit Sinn und Zweck der familienzentrierten Pflege zu verstehen. Durch die Anwendung des Genogramms und des Funktionsprofils, sowie die aktive Umsetzung der Fortbildungsziele sind die Mitwirkenden in der Lage einheitliche Pflegeziele festzulegen, die sich am Familiensystem orientieren. Anhand dieser Pflegeziele wird die Kommunikation, Beratung und Anleitung mit den Eltern bzw. Familien immer auf einer inhaltlich einheitlichen Ebene erfolgen. Eine Kommunikation im interdisziplinären Team ist auf dieser Ebene viel leichter möglich.